Kapitel 5 - Enttäuschungen

 

 

Leonard hatte schlechte Laune. Seit Tagen lief nichts so, wie es sollte. Auf dem Ritt nach Burmingen war er noch guter Dinge gewesen und voller Freude auf sein neues Leben. Doch seit seiner Ankunft in Burmingen am späten Abend ging alles bergab (vor allem seine Laune). Zunächst hatte er erfahren müssen, dass der edle Dreimaster nicht etwa das Schiff der Akademie war, sondern das Flaggschiff eines lokalen Schmuckhändlers. Sein Schiff war vielmehr eine alte, marode Nussschale, der Leonard nicht so recht trauen wollte. Der nächste Schock war das Abendessen. Es gab kein mehrgängiges, aufwendig serviertes Mahl, wie er es aus der Villa seines Vaters gewohnt war. Stattdessen aßen sie an Deck, wo es eben gerade ging. Es gab einen schlichten Bohneneintopf mit trockenem Brot. Keine Vorspeise, kein Fleisch und als Nachtisch einen kleinen, schrumpeligen Apfel für jeden. Für Leonard kam das einer persönlichen Beleidigung gleich. Den gammeligen Apfel warf er über die Reling ins Hafenbecken.

 

 

Nach dem dürftigen Abendessen ging es sofort weiter mit den Angriffen auf seine Gemütslage. Der Kapitän verlangte allen Ernstes von ihm, dass er sein Pferd zurücklassen müsse, weil es auf dem Schiff nicht ausreichend Platz gäbe. Die anschließende, ermüdende Diskussion endete damit, dass der Kapitän ihn vor die Wahl stellte: Entweder er blieb auf dem Schiff oder bei seinem Pferd an Land. Leonard liebte seine Stute. Sie war (wie alles, was er besaß) ein Geschenk seines Vaters gewesen. Er hatte sie an seinem 17. Geburtstag bekommen, mitsamt dem reich verzierten Sattel. Doch natürlich entschied er sich für die Akademie. Er könnte seinem Vater nie wieder unter die Augen treten wenn er seine Ausbildung zum Magier für ein Pferd aufgab.

 

 

Doch auch damit war es mit den Gemütsdämpfern für diesen Abend nicht getan. Nachdem alle ihr Gepäck selbst in den Laderaum gebracht hatten, informierte sie der Kapitän darüber, dass sie wegen ungünstigem Wind noch heute ablegen müssten, wenn sie die Akademie pünktlich am nächsten Abend erreichen wollten. Sie würden die Nacht also auf hoher See verbringen. Zusätzlich wurde doch tatsächlich von ihnen erwartet, dass sie beim Ablegen halfen. Ich dachte, ich soll Magier werden und nicht Schiffsjunge..., rutschte es Leonard leise heraus. Leider hörte es der Kapitän und prompt durfte er die Mooring am Heck des Schiffs lösen, eine Leine, die im Hafen hinter dem Schiff verankert war und deshalb immer auf dem Grund lag, wenn nicht gerade ein Schiff damit vertäut war. Eine Leine voller Schlamm, Unrat und Meeresgetier, die sich über Jahre angesetzt hatten. Er wollte nicht nach Handschuhen fragen (wie sie bei dieser Arbeit eigentlich üblich sind) und er beschwerte sich auch nicht, da widersprach sein Stolz. So vorsichtig es eben ging machte er sich an die Arbeit, doch mit Fingerspitzen kam er nicht weit. Seine Hände waren voller Schlamm, Schleim und Schrammen als er die schwere Leine ins Hafenbecken fallen lies und das Schiff seine Reise nach Westen antrat.

 

 

Schlaf war in dieser Nacht ein ferner Traum für Leonard. Es gab keine Kabinen, sie sollten in Hängematten oder Schlafsäcken unter Deck schlafen. Die feuchte Luft, das ständige Hin und Her im an den Rumpf hämmernden Wellengang, das laute Schnarchen seiner Mitreisenden und die Angst, die Nussschale könnte jeden Moment sinken, machten Leonard allein schon das Schließen seiner Augen unmöglich. Nach einer Weile wurde ihm in der drückenden Luft auch noch übel. Er zwängte sich durch Schlafsäcke und Hängematten zur Leiter, stieg zum Deck hinauf, beugte sich über die Reling und beobachtete, wie die Reste seines lächerlichen Abendessens davontrieben. Er nahm einen Schluck aus dem Wasserfass, spülte damit seinen Mund und spuckte es ebenfalls in die Wellen, um den ekelhaften Geschmack im Mund loszuwerden. Der kühle, frische Wind an Deck war wohltuend nach der engen Schwüle unter Deck, also blieb er einen Moment an der Reling stehen und versuchte, durch das allgegenwärtige Schwarz um ihn herum zu blicken. Gehts wieder? Mit Seekrankheit ist nicht zu spaßen, du wärst nicht der Erste, der auf der Suche nach Linderung über die Reling springt. Erschrocken blickte er sich um, neben ihm stand einer der Seemänner. Es war Leonard peinlich, dass sein Moment der Schwäche beobachtet worden war. Er wollte nicht mit diesem Typen reden, so murmelte er nur abweisend: Passt schon, alles in Ordnung. Offenbar merkte der Seemann, dass er unerwünscht war, denn er wandte sich ab und kehrte ans Ruder zurück, um Wache zu halten.

 

 

Als die Sonne aufging, saß Leonard immer noch an Deck. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen und war so mürrisch wie noch nie. Zum Frühstück gab es das Gleiche wie am Abend zuvor, nur ohne den Eintopf. Trockenes Brot mit einem kleinen Stück alten Käse und ein schrumpeliger Apfel, der Gipfel der Gemeinheit, von dem Leonard nichts anrühren wollte. Er verbrachte den Tag damit, am Bug des Schiffs zu sitzen und über das Meer zu starren. Kam jemand, der mit ihm reden wollte, ging er schnell wieder angesichts der konzentrierten schlechten Laune, die sich in Leonard angestaut hatte. Bis zum Mittag kam dann niemand mehr und er hing allein seinen wütenden Gedanken über dieses Schiff und seinen Kapitän nach.

 

 

Am Abend erreichten sie wie geplant die Insel der Magie. Dort wurden sie auf einen großen Platz geführt, der von Geschäften umgeben war. Es war der Hauptplatz der Stadt, wurde ihnen erklärt. In den Geschäften gab es Essen, Getränke, Kleider und alles was es in einer Stadt eben gab, nur dass hier alles kostenlos war (es gibt nämlich kein Geld auf der Insel der Magie). Das Abendessen in der nächsten Schenke war zumindest annehmbar, vielleicht lag das aber auch nur an Leonards großem Hunger. Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, freute er sich, dass er diese Nacht nicht auf einem Schiff würde schlafen müssen. Doch auch diese Freude war nur von kurzer Dauer. Sie hielt genau so lange, bis er erfuhr, dass er in einer Art Wohnheim leben würde. Es gab nicht einmal eigene Schlafzimmer, er musste seinen Wohnraum mit drei Anderen teilen! So großartig konnte die Magie ja wohl nicht sein, wenn ihre Schüler dermaßen ärmlich leben mussten.

 

 

Auch diese Nacht wurde überstanden. Dieses Mal sogar mit etwas Schlaf, was allerdings eher der schlaflosen Nacht zuvor zu verdanken war als einer bequemen Unterbringung. Seinen drei Zimmergenossen begegnete Leonard mit kühler Abweisung, deshalb ließen diese ihn vorerst wenigstens in Ruhe. Erholsam war seine Nacht nicht gerade (zwei seiner Mitbewohner schnarchten), aber ein paar Stunden Schlaf hatten sich bis zum Sonnenaufgang angesammelt. Als die ersten Strahlen des neuen Tages in das Zimmer fielen, gab Leonard das Herumwälzen auf und machte sich für den Tag bereit.Auf der Suche nach einem Frühstück steuerte er die Schenke vom Vorabend an, doch sie war noch geschlossen. Resigniert wanderte er durch das kleine Städtchen, bis er ein kleines Café in einer Seitengasse entdeckte. Dort ließ er sich Rührei mit Speck servieren. Das Rührei hätte mehr Sahne vertragen können und der Speck war etwas zu weich, aber Alles in Allem war es erträglich und füllte den Magen. Nach seinem Mahl erkundete Leonard das Städtchen und das Land darum, wenn auch nur weil er sonst nichts zu tun wusste. Der Unterricht würde erst morgen beginnen, hatte man ihm gesagt. Er wollte sich gerade zur Akademie aufmachen, da kamen ihm aus eben dieser Richtung zwei weibliche Gestalten entgegen. Im ersten Moment hielt er sie für Menschen, doch ihre hohen, ebenmäßigen Gesichter und schmalen Körper kamen ihm merkwürdig fehlproportioniert vor. Konnten das Elfen sein?

 

 

Wer seid ihr?, fragte er schroff, als sie bei ihm am Stadtrand angekommen waren. Die Ältere der beiden antwortete: Ich bin Ellijara, Frau des Wassermagiers Agurminlór, und das hier ist Lynareía, eine der neuen Erwählten. Es waren also tatsächlich Elfen, schlussfolgerte Leonard und seine Haltung wurde noch abweisender. Was macht ihr hier? Das hier ist die Stadt der Menschen!, warf er Ellijara entgegen. Lynareía schien ob seiner aggressiven Art Du solltest lernen, etwas mehr Höflichkeit an den Tag zu legen, wie mir scheint. Außerdem befindest du dich auf der Insel der Magie, hier gibt es keine Grenzen zwischen den Völkern. Wir sind frei zu gehen, wohin wir wollen. Ich führe Lynareía gerade auf der Insel herum und zeige ihr Alles. Das schließt eure Stadt nunmal mit ein. Jetzt wäre ich dir verbunden wenn du uns nicht weiter aufhältst, wir haben noch viel vor an diesem schönen Tag, außerdem wollen wir den Sonnenschein nicht mit deinem trüben Gemüt verschatten. Mit diesen Worten nahm sie Lynareía fest an der Hand und führte sie beide an Leonard vorbei, der wie zur Statue erstarrt dastand.

 

 

Seine Gedanken rasten: Was machten diese Elfen hier? Warum hatte er sich so niederreden lassen? Hätte er freundlicher sein sollen? Würden die Elfen ihm seine Unhöflichkeit verzeihen? Was wäre wenn nicht? Wie mächtig waren diese Elfen? Was würden sie mit ihm anstellen? Er hoffte, dass sich solche Fragen bald erübrigen würden, wenn er erst der mächtigste Magier aller Zeiten war. Dann würde ER die Regeln aufstellen und niemand würde ihn mehr zurechtweisen. Sie würden sich hüten IHM in die Quere zu kommen und alles dafür tun, ihn nicht zu erzürnen. Doch bis es soweit war musste er sich bedeckt halten. Halt dich von den Elfen fern, bei denen weißt du nie, woran du bist!, hatte ihm sein Vater eingeschärft. Bis jetzt hatte er ihn kläglich enttäuscht.

 

An dieser Stelle zog wieder der wohlbekannte und verhasste Nebel  auf. Der alte Geschichtenerzähler verabschiedete mich in die reale Welt. Auch wenn ich wie immer nicht gehen wollte, hatte ich am Ende doch keine Wahl. Letztendlich kämpfte ich einen verlorenen Kampf, doch diesen Kampf würde ich wieder und wieder und wieder kämpfen, ganz egal wie oft ich ihn verlor.