Schlacht um Idrithil

 

 

Alysindre blickte sich um, ihr sonst so ruhiger, freundlicher Ausdruck gehetzt und schmerzerfüllt. In allen Richtungen lagen Leichen auf dem blutroten, matschigen Waldboden. Sie erblickte Pferde und Menschen, aber auch unzählige Elfen. Die Schlacht war vorbei. Die Menschen waren entweder tot oder flohen aus dem Wald, doch Alysindre spürte keinen Stolz und auch keinerlei Freude über ihren Sieg. Sie hatte fast ihre gesamte Einheit von Bogenschützen verloren, als die Kavallerie der Menschen in ihre Flanke gefallen war. Diese Elfen hatten unter ihrem Kommando gestanden, unter ihrer Verantwortung, und sie hatte versagt. Sie hatte die Reiter erst bemerkt, als es zu spät war. Sie war schuld am Tod all dieser Elfen, viele davon ihre Freunde.

 

 

 

„Kommandantin Alysindre, sie werden in der Stadt erwartet“, teilte ihr ein Bote mit. Bestimmt würde man sie für ihr Versagen bestrafen wollen, das so viele Elfen das Leben gekostet hatte. Sie ließ das Chaos der Schlacht hinter sich und wand sich Idrithil zu. Wie hatte es nur dazu kommen können? Was war der Grund all dieser Gewalt? Gestern hatten einige Jäger den Anmarsch des Heeres auf Idrithil gemeldet. Hastig waren die Elfen zur Verteidigung organisiert worden. Alysindre hatte das Kommando über die Bogenschützen erhalten. Sie hätte es niemals annehmen sollen.

 

 

 

Als sie die Stadt betrat, zog ein großer Schatten über sie hinweg. Sie blickte in den Himmel. Ein Drache?! Sie hatte von diesen mächtigen Kreaturen gehört, doch nie hätte sie geglaubt, dass sie einen Drachen zu Gesicht bekäme. Er schien auf den großen Marktplatz zuzuhalten, also folgte Alysindre der fliegenden Kreatur. Wenn ein Drache zum Marktplatz flog, würde sie die Elfenfürsten dort ebenfalls finden.

 

 

 

Sie erreichte den Platz, der große Drache war bereits gelandet. Wie sie vermutet hatte fand sie bei ihm die vier Fürsten der Elfen. Sie alle blickten sie ernst an, als sie näherkam. Rejalor, der Oberste der Fürsten, begrüßte sie: „Kommandantin Alysindre, willkommen. Wir alle sind in tiefer Trauer über die Verluste des heutigen Tages, seien es Elfen, Menschen oder Tiere. Wir sind dankbar für deine Dienste für den Schutz dieser Stadt. Dieser Abgesandte der großen Drachen ist auf unseren Hilferuf hin hergekommen.“

 

 

 

Der große Drache fiel mit seiner langsamen, tiefen Stimme ein: „Sei gegrüßt, Alysindre. Es betrübt mich sehr, dass du heute Zeuge solcher Grausamkeit werden musstest, um dich und dein Volk vor der Zerstörung zu bewahren.“ Dann wandte er sich an die Fürsten: „Ich spreche hier als Vertreter meines gesamten Volkes. So sehr wir Drachen eure Situation auch bedauern, wir werden Feuer nicht mit Feuer bekämpfen. Wie viel Grund ihr für einen Krieg mit den Menschen auch sehen mögt, ich will euch raten einen anderen Weg zu wählen. Wir werden euch nicht unterstützen, solltet ihr den Weg der Gewalt einschlagen.“

 

 

 

„Die Menschen drohen, unser Volk zu vernichten und unsere Heimstatt dem Erdboden gleichzumachen! Wie könnt ihr als erklärte Verteidiger der gesamten Natur das ignorieren?!“, entrüstete sich Galaron, der Statthalter Idrithils. Der Drache erwiderte ruhig: „Wir ignorieren nicht, doch können wir eine Eskalation der Gewalt nicht gutheißen. Denkt an den ewigen Krieg der Zwerge und Orks: Er tobte so lange, dass keiner mehr den eigentlichen Grund dafür kannte. Es hatte nicht viel gefehlt, und keines der beiden Völker würde heute noch existieren. Wir bitten euch, wählt nicht diesen Weg, mehr haben die Drachen in dieser Sache nicht zu sagen.“

 

 

 

„Was schlagt ihr stattdessen vor? Die Bergvölker haben uns eine sichere Unterkunft in den Bergen verwehrt, sie wollen ihren Beziehungen zu den Menschen nicht schaden, und nach ihren heutigen Verlusten werden die Menschen nicht zu Friedensverhandlungen bereit sein.“, fragte Nyjeravalea, die Schwester Rejalors. Der Drache blickte traurig: „Wir sehen nur eine Möglichkeit, eine Eskalation der Ereignisse zu verhindern: Ihr könnt vorübergehend in die Wälder der Insel Elka fliehen, das sollte einen Krieg verhindern. Mein Volk berät sich schon in diesem Moment über mögliche Lösungen, um den Frieden dauerhaft zu sichern. Wir werden die Führer aller Völker zusammenrufen, wenn wir uns entschieden haben.“

 

 

 

„Das kann nicht euer Ernst sein!“, entrüstete sich Galaron, „die Menschen greifen uns grundlos an, und wir sollen dafür bestraft werden?! Wir müssen den Menschen eine Lehre erteilen! Wir haben heute bewiesen, dass wir ihnen überlegen sind! Lasst uns unsere Heimat verteidigen!“ „Du warst heute auf dem Schlachtfeld. Wie denkst du darüber, Alysindre?“, wandte sich Rejalor an sie. Sie war überrumpelt von der plötzlichen Aufmerksamkeit. Sie wusste allerdings genau, wie sie dazu stand. Nie wieder wollte sie solches Leid erleben müssen wie heute: „Der Angriff der Menschen war ein großes Unrecht und viel Leid ist daraus entstanden, auf beiden Seiten. Ein Krieg mit ihnen vermag dieses Leid allerdings nicht rückgängig zu machen, ganz im Gegenteil, er würde es nur vergrößern. Auch ich bin wütend, auch ich würde lieber in meiner Heimat bleiben. Ich sehe jedoch ein, dass das unter den gegebenen Umständen nicht möglich ist, ohne die heutige Gewalt vielfach zu wiederholen. Ich stimme mit den Drachen überein, dass es unser höchstes Ziel sein sollte, eine Eskalation zu verhindern, auch wenn das bedeutet unsere Heimat aufzugeben.“

 

 

 

Rejalor lächelte sie mitfühlend an: „Ich danke dir. Ich sehe die Sache genauso. Wie denkt ihr darüber?“ Hier wandte er sich wieder an die restliche Fürsten. Am Ende war selbst Galaron überzeugt. Als alles beschlossen war, flog der Drache zurück in seine Heimat, in die ihm das Volk der Elfen bald folgen sollte.